Der Anschlag
auf das World Trade Center (WTC) und das Pentagon in den
USA von letztem Dienstag, 11. September 2001, war eine
Attacke des Bösen auf das Reine, die Freiheit: „Freedom
itself was attacked today“, sagte US–Präsident
George W. Bush dazu. Dieser Angriff darf nicht toleriert
werden, denn er ist eine Bedrohung all dessen was der
Fortschritt ‘uns’ bisher beschert hat. Es darf
kein Zweifel daran bestehen, wer in diesem Konflikt die
Guten und wer die Bösen sind. Da ‘wir’ in der
zivilisierten Welt leben, ist die Zuteilung zu diesen
beiden Kategorien kein Problem. Der Orient, der Islam
wird dämonisiert: Es handelt sich dabei anscheinend um
eine Kultur oder Religion, die das Böse in sich trägt
und nur langsam durch den Kreuzzug der Zivilisation verändert,
also angepasst werden kann. Bis dahin stellt dieser ferne
Raum latent oder manifest eine Bedrohung dar. Die Frage
nach den Hintergründen des Anschlages braucht nicht
gestellt zu werden, da die Erklärung des Bösen
ausreicht. Unterdrückung, Kolonisierung, Ausbeutung
brauchen nicht thematisiert zu werden. Das Böse ist von
Natur aus böse, also muss mann es zerstören, da kann
mann leider nichts dran ändern. Osama Bin Laden ist der
dunkle Dämon, der plötzlich aus dem Schatten tritt,
dessen Vergangenheit im Dunkeln liegt, denn trotz allem
biographischen Wissen ist seine Boshaftigkeit unerklärlich
— sie muss ihm innewohnend sein, sie hat keine
Ursache, nur ein Ziel: Die Zerstörung des Guten, der
Freiheit, der Demokratie, anscheinend Kategorien, die in
ihrer reinsten Ausprägung in den USA vorkommen, deshalb
wurden sie auch dort angegriffen.
Der transnationale
Schulterschluss der Guten
Demokratie,
Freiheit und das Gute gibt es aber auch in Europa, zwar
nicht so unverfälscht wie in den Vereinigten Staaten,
aber doch. Aus diesem Grund mussten ‘wir’ uns natürlich mit den eindeutigen Opfern dieses infamen, hinterhältigen
Anschlages solidarisieren und gemeinsam aufschreien. Alle
Völker des Westens stehen geschlossen hinter den
USA, so wurde es ‘uns’ via Medien mitgeteilt.
Wer bei den Schweigeminuten nicht mitmacht, ist
unbelehrbar, vielleicht schlummert auch in ihr oder ihm
etwas von dem infamen Bösen. Die USA sind das Opfer und
diese Tatsache trifft Europa wie ein Messer in den Rücken.
Trotz aller Skepsis und Belächelung der überseeischen
Macht und ihres aktuellen Präsidenten macht es ‘uns’
angst, mit welcher Wucht diese Kultur, die ja
nichts Böses in sich trägt, derart hinterrücks ins
Mark getroffen wurde. Zum Glück für ‘uns’
sind sie so gut, dass es sie getroffen hat und nicht uns,
die wir anscheinend an ihren Reinheitsgrad nicht
heranlangen. Betroffenheit macht sich breit: Wenn dieser
große Bruder, von dem mann/frau gewohnt ist, dass er
eineN beschützt, so schwer getroffen werden kann, wie
sieht es erst dann aus, wenn ‘wir’ getroffen
werden? Die USA sind sich ihrer Verantwortung wohl
bewusst, denn schon arbeiten sie fieberhaft daran, ihre
Stärke zu reinstallieren, zu beweisen, dass das Gute immer stärker sein wird als das Böse. Europa atmet auf, der
muskelstrotzende Bodybuilder schlägt zurück. Die Wut,
in die das Gute anscheinend verfallen kann, macht aber
doch etwas angst, der dritte Weltkrieg zieht über unsere
Köpfe. Aber was will mann/frau machen? Kann mann/frau
das Gute denn einhalten? Es geht doch schließlich um
Gerechtigkeit.
Die bedrohte Zivilisation
Nein, es geht
um mehr als Gerechtigkeit: eine Welt muss verteidigt
werden gegen eine andere Welt. Huntingtons Clash of
Civilisations ist schon Wirklichkeit geworden. Seine
Thesen sind goldrichtig, aber nicht weil ihnen so etwas
wie Wahrheit zu Grunde liegen würde, sondern weil er
selbst ein Repräsentant des Guten ist und es deshalb
besser kennt als jeglicheR europäischeR SkeptikerIn, die
oder der behauptet, ja so könne mann/frau das doch nicht
sagen und Kulturen wären ja nicht homogen, etc. Blödsinn!
Kulturen sind homogen, das ist doch nun augenscheinlich:
Gut gegen Böse, bist du nicht für uns, bist du gegen
uns und damit vor unserer Rache ebenfalls nicht sicher.
Diese bestechende und verführerische Dichotomie bildet
das Korsett, in dem die aktuellen öffentlichen Gedanken kreisen. Unsere Zivilisation, unser Fortschritt
ist in Gefahr, jemand will uns auf unserem Weg in eine
gerechte Gesellschaft, in der es allen gut geht,
behindern. Wer dieses Ziel verfolgt, kann nur böse
sein, oder?
Stimmen aus dem Off
Andere
Versionen der ganzen Geschichte sind nicht erwünscht.
Bei einem der runden Tische im ORF war Johan Galtung
eingeladen, ein renommierter Friedensforscher. Es war
verblüffend, wie keiner der andern Diskutanden (ausschließlich
Männer) auch nur ansatzweise zu verstehen schien, worum
es Galtung ging. Seine zentrale Frage war eigentlich
ziemlich einfach: Warum waren die USA Ziel eines
derartigen Anschlages? Er wollte die Frage jedoch
jenseits der Gut/Böse–Schere beantworten, also
musste er auf Strukturen aufmerksam machen, die unserer
‘Zivilisation’ innewohnen: Ausbeutung, Unterdrückung,
Welthunger, gepaart mit Arroganz. Ist es nicht so, dass
die sogenannte dritte Welt noch immer unter den Folgen
der Kolonialisierung zu leiden hat? Ist es nicht so, dass
die kapitalistische Weltwirtschaft jeglichen Preisvorteil
nutzt, arme Länder ausbeutet und überhaupt kein
Interesse hat, dass sich daran etwas ändert? Ist es
nicht so, dass sich ‘der Westen’, allen voran
die USA, aus eigenen Interessen, seien sie
wirtschaftlich, geopolitisch oder wegen des ‘humanitären
Prestiges’ (Kuweit, Ex–Jugoslawien, etc.) in
Konflikte einmischen, sie prägen und bestimmen ohne dass
vorher genug unternommen worden wäre, um es gar nicht so
weit kommen zu lassen?
Die Unzahl an
Menschen, die täglich an der Ungerechtigkeit der
westlichen Weltherrschaft verrecken, ist nicht imstande,
ein Gegengewicht zu einigen Tausend guten AmerikanerInnen
zu schaffen. Das eine Leben ist eben nicht so viel wert
wie das andere. Die westliche zivilisatorische Logik
offenbart im Kapitalismus ihre wahre Gestalt: Wir sind
zwar im Prinzip alle ersetzbar, aber manche müssen gar
nicht ersetzt werden, denn sie wurden nie gebraucht.
Deshalb sind sie uns auch keine Träne wert.
(2005)
Tja, es ist durchaus
interessant, einen eigenen Text nach einigen Jahren
wieder zu lesen und sich einerseits doch noch und
andererseits nicht mehr darin wieder zu erkennen oder zu
finden.
Der Impetus des
links stehenden Artikels ist antiimperialistisch, ein
Impetus der an sich, originär, ja nichts
schlechtes meint, sondern das Aufbegehren gegen
Herrschaft, gegen Imperialismus, gegen das
ungerechtfertigte und gewaltsame Eindringen in schon
belebte Räume, um diese zu unterwerfen und auszubeuten.
Was ich damals
allerdings noch nicht reflektiert hatte, war der
Antisemitismus, der in den meisten antiimperialistischen
Diskursen mitschwingt, so wohl auch in meinem.
Die Kritik, die ich
mein(t)e, findet sich in diesem Anschlag gar nicht wieder.
Es ist ein blind-zerstörerischer Akt, der darauf
abzielt, so viele Menschen wie möglich in den Tod zu
reissen. Es ist keine Guerrillataktik, die irgendeiner
militärischen Logik folgen würde, sondern
Vernichtungswille. Die zu vernichtenden Menschen stehen für
das Böse, für das Elend.
Die Diskurse sind für
beide Ebenen, hier "die" "amerikanische", dort die islamistische, recht ähnlich,
da sie mit verabsolutierten Dualismen arbeiten.
Der islamistische
Stanpunkt ist jedoch strukturell und manifest
antisemitisch.
Strukturell, da den
islamistischen Anschlägen eben dieser Vernichtungswille
innewohnt, wie wir ihn aus der Zeit des NS kennen: Ein
Jude kann nicht gut sein, egal wie er sich verhält,
da er das Böse und Schlechte in sich trägt. Daher muss
jeder Jude und jede Jüdin vernichtet werden. Genau das
finden wir heute bei den - gerade von "der"
Linken, wie auch der restlichen, in diesem Punkt oft
schauerlich geschlossenen Gesellschaft, oft
glorifizierten - palästinensischen Selbstmordattentaten.
Es geht nicht darum, Israel als Staat militärisch zu
treffen, sondern so viele Jüdinnen und Juden wie möglich
zu töten.
Und manifest, da ja
in islamistischen Positionen explizit eine zionistische
Weltverschwörung benannt wird. Die USA sind somit in der
Hand "der Juden", die natürlich die
Weltherrschaft anstreben.
Hinter diesen
Attacken auf das WTC, den palästinensischen
Selbstmordattentaten, sowie den verschiedenen anderen
inzwischen erfolgten terroristischen Aktionen (Madrid
2004, London 2005, im Irak täglich etc.) steht somit nichts
Emanzipatorisches, sondern ganz im Gegenteil etwas
zutiefst Reaktionäres, eine rückschrittliche, lebens-
und lustfeindliche, frauenfeindliche und
fundamentalistische Haltung.
Diese Tendenzen können
zwar als Widerstand bezeichnet werden, allerdings nicht
im Zeichen von einem Streben nach Offenheit und Freiheit
von Herrschaft, sondern in dessen Gegenteil.
Eine Solidarisierung
mit diesen islamistischen Strömungen und ihren Aktionen
hat somit nichts mit einem Kampf gegen herrschende Verhältnissen
zu tun, sondern mit ihrer Beschleunigung.
Der Kapitalismus
lacht sich dabei ins Fäustchen.
Die Falschheit des
Ganzen kann durch diese Brille nicht betrachtet werden