Anmerkungen zu Gini
Müller
In ihrem Text
zu queeren Strategien und Lebensentwürfen feiert
Gini Müller das Spielen mit „Identitäten“
und das subversive Unterwandern selbiger. Beim Lesen des
Artikels beschlichen mich allerdings Zweifel, ob dem Text
selbst die Bewältigung des gesteckten Zieles überhaupt
gelingt.
Vorausschicken möchte ich jedenfalls,
dass sich meine Kritik nicht als Abwertung oder Ablehnung
verstanden wissen möchte, sondern als konstruktiven
Beitrag, der queeren Strategien bzw. Theorien dazu verhelfen
soll, den Fallstricken von „Identität“
zu entkommen.
Meine These ist, dass mit „Identität“
keine Emanzipation zu haben ist. „Identität“
ist zuallererst entgegen dem Anschein kein Konzept, sondern
eine Leerstelle; sie ist keine Realität, sondern Ideologie.
Um diese Aussage verständlich zu machen, muss ich ein
wenig ausholen. Zuerst lohnt sich ein Blick in die Psychologie,
den Geburtsort von „Identität“, wie sie
heute verstanden wird.
Im Bereich der Psychologie kann Erik H. Erikson
als Schöpfer des Begriffs angesehen werden. Sein Konzept
ist allerdings essentialistisch und lässt keinen Raum
für Widersprüchlichkeiten. Das Ziel der geglückten
„Identität“ ist die reibungslose Einordnung
in die Gesellschaft. Von da an hat der Identitätsbegriff
einen Siegeszug angetreten, der längst die Grenzen
der Psychologie (weit) hinter sich gelassen hat.
Inzwischen ist „Identität“
ein beliebtes Element in allen möglichen Disziplinen
und Diskursen. Besondere „Fruchtbarkeit“ hat
es in den Bereichen postmoderner, postkolonialer, feministischer
und eben queer/transgender-Theorien gezeigt. Es ermöglicht
scheinbar eine problemlose Verortung in verschiedenen Kontexten,
die Integration verschiedener, auzch widersprüchlicher
Anteile in ein und demselben Individuum. Natürlich
gibt es auch schon einen passenden Begriff dafür, nämlich
die „Patchwork-Identität“ (Heiner Keupp).
Interessant ist jedoch, dass es in der Psychologie
keinen einheitlichen Begriff, keine einheitliche Definition
von „Identität“ gibt und dass jeder Versuch
einer solchen vor Unklarheiten und Widersprüchen nur
so strotzt. Es zeigt sich nach eingehender Analyse (vgl.
Niethammer, 1998 und Sanin, 2002), dass „Identität“
ein „semantisches Mollusk“ (Niethammer), ein
Weichtier, ein Gummiwort, ist. Seinen Erfolg verdankt der
Begriff genau diesem Mangel an Klarheit und Eindeutigkeit,
der ihn flexibel einsetzbar macht.
So setzt sich die „Gesamtidentität“
einer Person vielleicht zusammen aus ihrer „Geschlechtsidentität“,
ihrer „Berufsidentität“, der „Rollenidentität“,
der „Nationalidentität“, der „ethnischen
Identität“ usw. usf., die Liste wäre beliebig
fortsetzbar.
Es stellt sich allerdings die Frage nach
der Sinnhaftigkeit bzw. Nach dem Nutzen eines solchen „Konzeptes“.
Der Zweck von „Identität“ ist m.E. die
Einteilung. Emanzipatorische – oder in diesem Fall
besser: pseudo-emanzipatorische – Ansätze sprechen
hier gerne von „Verortung“; ich nenne es eher
Selbsteinteilung. Der Begriff der „Identität“
übernimmt nämlich implizit die Zuordnung zu einer
bestimmten Kollektivität. Diese Kollektivitäten
sind jedoch, indem sie dem Identitätsdiskurs und dessen
Logik folgen, keine bloß strategischen Zusammenschlüsse,
sondern essentialistische Agglomerate.
Im Artikel von Gini Müller zeigt sich
das darin, dass die Zugehörigkeit zur von ihr geschilderten
i.w.S. queeren Szene scheinbar doch über die Kategorie
„Frau“ funktioniert, was sich ja auch schön
in den Begriffen „grrrl“ und „ladyfest“
zeigt. Die Zugehörigkeit oder potentielle Teilnahme
ist nicht schon gesichert durch die Zustimmung hinsichtlich
gemeinsamer Ziele, sondern wird erst möglich durch
die zusätzliche Zugehörigkeit zu einer bestimmten
biologischen und soziobiologischen Kategorie bzw. durch
die Abkehr von ihrem Gegenteil, also der soziobiologischen
Kategorie „Mann“, was dann unter „transgender“
subsummiert wird. Interessant wäre ja zu überprüfen,
ob Transgender-Menschen die eine männliche „Identität“
anstreben und auch als Männer (an)erkannt werden wollen,
hier noch eine Zugehörigkeit beanspruchen dürfen
oder nicht.
Essentiell ist jedoch, dass der ganze Queer-
und Transgender-Diskurs es nicht schaffen kann, die Grenzen
der heterosexistischen Matrix zu überwinden, wenn er
deren Kategorien in die eigene Basis einbaut. Es geht ja
auch nicht um das Ausschließen von Männern, sondern
umgekehrt auch um das automatisch damit verknüpfte
Einschließen von Frauen.
Gerade im Transgender-Feld ist ja der Einteilungsdiskurs
besonders spannend, da es hier ja letztlich für viele
darum geht, den die Geschlechter trennenden Graben nicht
als solchen zu überwinden, sondern ihn zu überspringen,
von einer Seite zur anderen. Aber auch für jene, die
sich nicht so leicht einteilen lassen und das auch nicht
wollen, ist schon eine Bezeichnung gefunden, nämlich
eben „Transgender“, womit sie ihren Platz zugewiesen
bekommen haben und der Einteilung Genüge getan wurde.
Der Umgang mit „Identität“
kann nur dann produktiv sein, wenn er gewissermaßen
negativ ist, also aus einer strategischen Haltung heraus,
die „Identität“ nicht ernst nimmt, ihren
Versprechungen nicht glaubt und sie als das erkennt, was
sie ist, nämlich eine herrschaftsdienliche Einteilungsmaschine.
Wie schon oben angedeutet, ist m.E. für
eine emanzipatorische Strategie Offenheit notwendig und
so etwas wie „Nach-vorne-Gerichtetheit“, also
ein Konzept, das sich nicht über zwar aufgeweichte
und flexibilisierte, aber letztlich doch essentialistische
Kategorien definiert, sondern durch kollektive Übereinstimmungen
hinsichtlich von Strategien und Zielen.
Zum ganzen Diskurs ausführlicher: Zur
Kritik des Identitätsbegriffs - eine Analyse im Spannungsfeld
von Subjektivität und Kollektivität.