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Psychologie studieren in Wien
(von Daniel Sanin unter Mithilfe von Karolin Hirr; erschienen 1999 in P&G 92, S. 45–67)

Vorbemerkung (2005):

Der folgende Artikel hat inzwischen schon eher historischen Wert, denn mittlerweile hat sich am Wiener Institut wohl doch einiges geändert: Alte ProfessorInnen sind emeritiert, Studiengebühren wurden eingeführt, aus dem Institut für Psychologie wurde eine eigene Fakultät, das Gebäude in der Liebiggasse wurde vollständig generalsaniert etc. etc.

Nicht geändert haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach die sozialisatorischen Absichten bzw. Aufgaben eines Studiums, somit können die allgemein-theoretischen Überlegungen durchaus noch Gültigkeit beanspruchen.

Einen zweiten historischen Aspekt des Textes bildet die Tatsache, dass er teilweise noch mit Instrumenten hantiert, die ich inzwischen nicht mehr oder nicht mehr in dieser Weise benutzen würde (z.B. "Identität").

Abstract:
Der Artikel behandelt das (meist) nicht bewußt vollzogene Hineinwachsen in Denk- und Handlungsstrukturen in die 'Psychologie als Wissenschaft' (Titel der Voraussetzungsprüfung für das Wiener Psychologie-Studium) gemäß den geltenden Ansprüchen. Es wird versucht zu zeigen, auf welche Weise extern kreierte Bedürfnisse von den Subjekten als eigene übernommen werden und auf welche - teilweise subtilen - Arten versucht wird, Widerstand zu brechen oder zu untergraben und welche Handlungsmöglichkeiten sich daraus ergeben.

1.Sozialisation und Institution

Der nun folgende Absatz erhebt nicht die Absicht, irgendwelche neuen Tatsachen oder Erkenntnisse vorzulegen und es ist davon auszugehen, daß die Mehrzahl der LeserInnen mit den darin leicht angerissenen Inhalten weit gründlicher vertraut ist, als sie hier zur Darstellung kommen, jedoch halte ich es für wichtig, von vorne herein Ausgangspositionen klarzustellen um nicht auf selbverständliche Art etwas vorauszusetzen und dadurch Mißverständnisse zu provozieren. Weiters ist es mir wichtig, die Fundamentalität des Sozialisationsprozesses hervorzuheben, sich immer wieder vor Augen zu halten, daß wir - trotzdem wir uns vom Gefühl her als eigenständig und unabhängig erleben - bis in unsere letzten Wurzeln Produkte unserer Gesellschaft sind - im inrteraktionistischen, und nicht im deterministischen Sinn.

Sozialisation bedeutet also das Hineinwachsen von Individuen in die sie umgebende Gesellschaft, d.h. also, daß wir in die Regeln und Übereinkünfte des/der zugehörigen Systems/Systeme eingeweiht, gewissermaßen als weißes Blatt langsam beschrieben werden. Über die Identifikation mit den Eltern bis zur Ausbildung der eigenen Identität lernen wir alles Wichtige, das es laut geltenden Maßstäben zu wissen gilt, aber mehr als das ist die Bildung unserer Identität in der Form wie wir sie kennen ausschließlich erst durch die seit Kindesbeinen vonstatten gehende Teilhabe an der Gesellschaft möglich. Die gesellschaftliche Wirklichkeit und somit auch all ihre bestehenden Normen und Regeln werden vom ersten Moment des Eintretens in diese graduell übernommen und internalisiert. Unser Geist, unsere Art zu denken, unsere Interessen, etc. sind alle Produkte der menschlichen Gemeinschaft. Es handelt sich - im Sinne des symbolischen Interaktionismus nach Mead (1973) - um einen aktiven Vorgang des Aushandelns, um aktives Auskundschaften, Kennenlernen, Reagieren, Annehmen, Rebellieren und nicht um simples Lernen bzw. Aufnehmen und dementsprechendes Handeln, wie es oft in der Psychologie und der Sozialpsychologie postuliert wird – wie am bekannten Beispiel des Behaviourismus nachvollziehbar.

In den hier auszubreitenden Überlegungen soll die Aufmerksamkeit auf die Institution Hochschule und die Interaktion mit ihr seitens StudentInnen (als dort Hineinwachsende) und Lehrenden (als dieses Wachstum Steuernde und Überwachende) fokussiert werden. Im Lateinischen steht 'institutio' für 'Einrichtung', 'Unterweisung', was beides schlichtweg genau das ausdrückt, was es für uns auszubreiten gilt.

Mead sieht den ersten Schritt, der zu einer Institutionalisierung führt, in der Vereinheitlichung von Handlungsmustern gegenüber bestimmten Situationen. Reaktionsmuster und -abfolgen werden im jeweiligen Sinne der sich entwickelnden bzw. entwickelten Institution geeicht. Die ganze Gemeinschaft oder der betroffene - sich als solcher empfindende - Teil davon reagieren in einer geeigneten Situation, das ist eine solche, die das Handeln der Einrichtung entsprechend ihrer Funktion, d.h. Zielsetzung und ihrem Sinngefüge, erfordert, gegenüber dem einzelnen, der ihr Eingreifen nötig macht oder sich z.B. zwecks Dienstleistung an sie wendet, auf vereinheitlichte Weise. Daraus ist erkennbar, daß der Begriff der Institution weiter gefaßt werden muß, als m/f es umgangssprachlich gewohnt ist: Nämlich als Übereinkunft (dieser Begriff ist aber nicht ganz passend, da er das Einverständnis aller miteinschließt, welches aber sicherlich nicht einfach vorausgesetzt werden kann), in einer bestimmten Weise auf bestimmte Gegebenheiten zu reagieren. "Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden." (Berger und Luckmann, S.58) Damit ist gemeint, daß - in vorinstitutionalisierten Zuständen - Menschen in ihren sich wiederholenden Handlungen einer Gewöhnung unterliegen, welche die Handlungen im Großen und Ganzen immer gleich ausschauen läßt und dem handelnden Subjekt aus der Sicht eines Betrachters eine Eigenart im Umgang mit der entsprechenden Situation aufdrückt. Der nächste Schritt ist, daß von diesem eingewöhnten Handlungsablauf, der ursprünglich der Zeitersparnis dient, nicht mehr abgewichen wird und zusätzlich nicht mehr abgewichen werden darf. Letzteres ist schon eine Vorstufe zur Institutionalisierung - es fehlt jedoch der Zusatz, daß es sich bei den die institutionalisierte Handlung Tätigenden um typisierte Subjekte handelt, d.h. solche, die in der erforderlichen Situation, abseits ihrer individuellen Unterschiede, in derselben Art und Weise handeln und das allen an sie Herantretenden gegenüber. Es entsteht also eine bestimmte Rolle, die zur Ausführung institutioneller Handlungen maßgeschneidert ist.

Das Problem der Entpersonifizierung, das sich durch die die Institutionen tragenden Rollen ergibt, stellt ein individualitätsfeindliches dar, da die Institution auf die einzelnen Menschen nicht spezifisch sondern vereinheitlichend zugeht. "Ein Teil des Selbst hat sich (...) objektiviert als Vollstrecker eben dieser Handlung, während das ganze Selbst sich nun mehr oder weniger von der vollzogenen Handlung zurückziehen kann. So wird es möglich, sich sein Selbst als nur teilhaft mit der Handlung identifiziert vorzustellen (...)". (ebenda, S. 77)

Durch Verdinglichung (1) scheinen die Institutionen mit der Natur zu verschmelzen; und die Welt der Institutionen wird Notwendigkeit und Schicksal, Glück oder Unglück." Dasselbe gilt eben für Rollen: "Die Modellformel für diese Art der Verdinglichung lautet: 'Ich habe in diesem Falle keine Wahl. Ich muß in meiner Stellung so handeln.'" (ebenda, S.97) Das Problem eines Individuums kann innerhalb einer Institution also voraussichtlich erst dann gelöst werden, wenn es die Regeln beherrscht und sich nach ihnen verhält und die Möglichkeiten der Institution nicht überschritten werden.

Mit Foucault können wir an diesem Punkt den Begriff der Macht und darauffolgend jenen der Machtökonomie einführen. Dadurch wird eine Betroffenheitsdimension der Subjekte sichtbar, die in der distanzierteren Sprache Berger & Luckmanns verborgen bleibt. Jede Rolle ist somit mit Macht ausgestattet, wobei hier nicht nur von offiziellen Rollen die Rede ist, sondern von der Gesamtheit der in der betreffenden Institution auch informell angebotenen. JedeR die/der also auch nur ein Bruchstück einer Rolle für sich beanspruchen kann, kann die darin enthaltene Macht ausüben. Durch das alle Ebenen bzw. Hierarchien diffundierende Tätigen von Macht verschwimmen die Grenzen zwischen TäterInnen und Opfern bzw. Herrschenden und Beherrschten.

Wenn m/f sich der Eingebundenheit in diese Machtökonomie nicht bewußt ist, erscheint die gegebene Situation einer/m als zwingende, die Handlungsmöglichkeiten bestimmende und kanalisierende Realität, an der m/f quasi unverschuldet ist - als nur “teilhaft mit der Handlung identifiziert”, s.o. In diese Kerbe gilt es, einen Keil zu treiben und die immer vorhandene eigene Verantwortung - die bewußte Entscheidung für entsprechende Handlungen - aufzweisen und einzufordern.

Bevor ich genauer auf die gesonderte Kategorie der universitären Hochschule eingehe, scheint es mir zwingend, noch einige Überlegungen zur Schule im Allgemeinen anzuführen, da bestimmte Zustände und Verhaltensmuster aller involvierten Parteien nur unter diesen Prämissen nachvollziehbar werden.

 

“Es liegt auf der Hand,
daß eine Schule, die tatendurstige Kinder
an Schreibtische zwingt und sie Dinge lernen läßt,
die meistens nutzlos sind, eine schlechte Schule ist.
Nur jene unschöpferischen Mitbürger, deren Kinder fügsam
und unschöpferisch bleiben sollen, damit sie in eine
Gesellschaft passen, deren Erfogsmaßstab Geld heißt,
können eine solche Schule für richtig halten."

A.S. Neill, 1969, S.22

2.Gesellschaftliche Funktion der Institution Schule

Die Art, Institutionen zu begegnen und ihre Inhalte zu übernehmen, wird also von kleinauf gelernt und gelehrt. M/f erkennt zwar irgendwann, daß diese Welt nicht die beste ist, aber trotzdem kommt m/f nicht bzw. selten auf die Idee, daß der spezifische Gang der Dinge nur ein möglicher ist, der uns nur deshalb so legitim erscheint, da er für uns seit unserer Geburt Wirklichkeit ist. Unsere 'Zahmheit' gegenüber dem 'Aggressor' Hochschule/Universität u.a. ist zum größten Teil nur eine Folge der vorhergegangenen Schulsozialisation. Beinahe jedes Kind freut sich am Anfang auf die Schule - schon nach ein paar Wochen ist davon oft nichts mehr zu spüren. Faulheit und Desinteresse, Eigenschaften, die StudentInnen ja auch gerne zugeschrieben werden, sind doch nicht solche, die das Kind ursprünglich ‘besitzt’. Sie sind Reaktionen auf Umstände. Natürliche Impulse wie Neugier, Wissensdurst, der Drang alles verstehen zu wollen, spielerisch zu lernen etc. werden in der Schule systematisch unterdrückt. Auf die ständigen 'Warum-Fragen' der Kinder wird aber auch seitens der Eltern und nahen Erwachsenen irgendwann nur mehr mit "das ist halt so" oder mit Achselzucken geantwortet. Das hinterläßt den Eindruck, als gäbe es darauf gar keine Antworten - wenn schon nicht einmal die Erwachsenen eine wissen - und bildet die Voraussetzung, die soziale Realität als naturgegeben wahrzunehmen. "Die Fragen der Kinder nach der symbolischen Sinnwelt sind schwieriger zu beantworten als ihre Fragen nach den institutionalen Wirklichkeiten des Alltagslebens. Auch die Fragen beunruhigter Erwachsener verlangen noch mehr und differenzierte Denkarbeit." (Berger & Luckmann, S.114) Die 'Warum-Fragen' wirken auf die Erwachsenen verunsichernd, da sie nach einer Erklärung für Vorgänge verlangen, die m/f nicht gewohnt ist zu hinterfragen, was auf den Wirklichkeitscharakter der menschlichen Gesellschaft zurückzuführen ist. Wenn wiederholt keine Antworten kommen, wird das Kind im Laufe der Zeit seine Fragerei einstellen. Als positive Aussicht ist noch anzumerken, daß dieser Impuls auch wieder zum Leben erweckt werden kann. Zum Zeitpunkt, wo das Kind in die Schule kommt, hat es schon für viele Bereiche gelernt, diese einfach hinzunehmen, auch wenn es den Grund dafür nicht weiß. Als solcher, d.h. hinzunehmender, Bereich kommt nun die Schule hinzu und in dieser selbst wird das Hinterfragen wohl auch nicht gerade gelehrt.

Gleichzeitig mit der Gewöhnung seitens des Kindes, diese Fragen nicht mehr zu stellen, kommt es zu dem Effekt, daß damit die Fähigkeit zum 'selbständigen Denken' untergraben, dramatisch ausgedrückt: verstümmelt wird.

Die üblicherweise im Alter von sechs Jahren beginnende erzwungene Eingewöhnung in die Schule gewährleistet somit nicht nur eine Gewöhnung an dort stattfindende konkrete Zustände und Regeln, sondern auch eine ebensolche an Gebräuchlichkeiten, die den Kontext der Schule weit übersteigen und für unser gesellschaftliches Zusammenleben bestimmend sind.

Um sich klarzumachen, welche Ziele mit der allgemeinen Schulpflicht und mit der aktuellen Form der Praktizierung von Schule verfolgt werden, ist es notwendig, sich die gesellschaftliche Einbettung dieser Institution genauer anzusehen: Auf welchem Hintergrund wurde sie gegründet, wer bestimmt Verhaltens-, Aufstiegs-, Abstiegs-, Aufnahme- und Aussperrungsgründe, etc. – kurzum: Wie gestaltet sich die Machtverteilung.

 

2.1.Historisches

Eine verbreitete, aber nur teilweise zutreffende Erklärung für die Gründung von Schulen und die damit einhergehende allgemeine Schulpflicht findet sich in den Impulsen der Aufklärung: Sie "gilt als die 'bedeutenste europäische Emanzipationsbewegung' [Mieck, 1989], deren Grundgedanken bis heute gelten und gesellschaftsgestaltend wirken. Immanuel Kants Worte werden paradigmatisch als Definition für die neue Sichtweise des Menschen zitiert, wonach Unmündigkeit selbstverschuldet ist, 'wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen'. 'Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung' [Kant, 1964], der klar mit den Prämissen einer gottgewollten Ordnung bricht. Das selbständige, vernunftgeleitete, seinem Gemeinwesen dienende Individuum wird zum Ideal erhoben, durch Erziehung sollen die Menschen zu eigenem und damit allgemeinem Glück geführt werden. [ Hervorhebung v.Verf.]" (Lauggas (2), S.8)

Ein genauerer Blick auf Österreich: "Maria Theresia [die ja die allgemeine Schulpflicht einführte, s.u.] war (...) eine gebildete Frau. (...) Ihr Hauptziel war in allen Bildungsebenen von Universitäten bis zu Elementarschulen eine Ausweitung der Staatsmacht [Hervorhebung v.Verf.] und staatlich kontrollierte Ausbildung der Untertanen, wie dies besonders deutlich in den Universitätsreformen seinen Niederschlag fand. 'Rationalität, Uniformität, Utilität und Funktionalität … galten auch auf dem Gebiet der Bildungspolitik als oberste Maximen.' [Grimm, 1987] Bis zu Maria Theresias Regierungszeit lag das Schulwesen völlig in der Hand der Stände, vor allem der Geistlichkeit. Ihre Bildungspolitik wird beschrieben als Übergang vom 'Ecclesiasticum' zum 'Politicum': Das als Angelegenheit der Kirche betrachtete Schulwesen wurde sukzessive auch für das Staatswesen interessant. … 1774 wurde die allgemeine Unterrichtspflicht eingeführt, der Kaiserin aber lag es fern, damit jener aufklärerischen Intention Vorschub zu leisten, wonach das Individuum aus seiner Unmündigkeit herausgeführt werden sollte. (...) 'Die Chancen auf eine unter originär pädagogischen Vorzeichen stehenden grundlegenden Neugestaltung des gesamten Bildungswesens waren durch das Faktum, daß Schule und Unterricht in Österreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in das »Vorfeld der Verwaltung« rückten, auf ein Minimum gesunken, denn die von der »Staatsräson« gerägten bildungspolitischen Zielsetzungen der theresianischen (und in großen Teilen auch josephimischen; Anm. M.L.) Bürokratie, die ... zum »Träger der neuen Staatsanschauung« wurde, unterschied sich stark von den als »liberal« zu qualifizierenden Vorstellungen über Erziehung und Unterricht, wie sie die zeitgenössische Aufklärungspädagogik entwickelt hatte.'[Grimm, 1987]" (Lauggas, S.13) Da Regierungen damals wie heute von Interessen geleitet wurden und werden, verwundert es wenig, wenn jene, die weitreichende Entscheidungen treffen, diese so fällen, daß sie für die sie involvierende Machtökonomie zum Vorteil gereicht. Wie das Päckchen dann präsentiert wird, hier eben mit Aufklärungsgedanken umhüllt, ist im Grunde eine andere Frage.

Um die Machtverhältnisse vom Prinzip her beibehalten zu können, war es also notwendig, die Aufklärungsgedanken in einer kontrollierbaren Form umzusetzen. “Der Ort, an dem flächendeckende Erziehung gewährleistet werden sollte, wird die Schule. Eines der zentralen Fächer stellt von Anfang an die sogenannte 'Leibeserzeihung' dar, die Körper- und Selbstbeherrschung, die nichts mehr dem Zufall überläßt und die eigene Diszipliniertheit und Gehorsamkeit zum verinnerlichten Bedürfnis [Hervorhebung v.Verf.] macht. Die Wahrnehmung von Kindern bewirkt die Entwicklung der Pädagogik und ist unmittelbar gekoppelt an den Ursprung moderner Verschulung, die wiederum eine sukzessive Verlängerung der Kindheit einleitet. Glantschnig [1987] faßt treffend zusammen: 'Der Mensch wird unter dem Aspekt der Effektivierung seiner Arbeitskraft gesehen, der Disziplinierung seines Körpers und der Normalisierung seines Verhaltens. Die Pädagogik hat wesentlichen Anteil an der Entwicklung dieser wissenschaftlichen Maschinerie, die den Körper des Einzelnen durchdringt, zergliedert und in Hinblick auf einen allgemeinen Zweck wieder zusammensetzt.'" (ebenda, S.121)

"'Die wirklichen und körperlichen Disziplinen bildeten [beim Übergang von der alten, monarchistischen zur neuen, auf Institutionen verteilten Machtökonomie] die Basis und das Untergeschoß zu den formellen und rechtlichen Freiheiten.' [Foucault, S.285] So sind nach Foucault die Disziplinen ["als gemeinsamer Nenner verschiedener Institutionen, in denen sich die Machtökonomie jeweils konkret verkörpert"; Holzkamp, S.350] nur scheinbar 'nichts anderes als ein Subsystem des Rechts ... Tatsächlich aber sind' sie 'als eine Art Gegenrecht wirksam. Sie haben nämlich gerade die Aufgabe, unübersteigbare Asymmetrien einzuführen und Gegenseitigkeiten auszuschließen.'[Foucault, S.285]" (Holzkamp, S.350)

 

2.2.Strukturanalytische Betrachtungen

Die Schulpflicht der Kinder erfüllt in unserem kapitalistischen Gesellschaftssystem zwei Grundfunktionen: Erstens dient sie der Heranbildung produktiver WirtschaftsteilnehmerInnen und gesellschaftstreuer Mitmenschen und zum zweiten gewährleistet sie die Bereitstellung der Arbeitskraft der Eltern bzw. der Mutter für die Zeit, die das Kind/die Kinder in der Schule verbringt. Daß die Schule nicht primär dem Wohle der Kinder dient und nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet ist, zeigt sich schon an der Struktur dieser Einrichtung. Ottomeyer geht soweit, daß er Schulen als 'totale Institutionen' bezeichnet, in der es “eine bürokratische Verwaltung" gibt, “hierarchische soziale Ränge und ein (...) Regelsystem für das zwischenmenschliche Verhalten." Die Kinder “sind mehr oder weniger unfreiwillig hier und unterstehen der Weisungsbefugnis und Sanktionsgewalt des 'Stabs'. (...) Den Insassen werden viele Möglichkeiten zum Ausdruck ihrer persönlichen Identität weggenommen" und sie unterliegen “noch in den intimsten Verrichtungen (m/f denke an das schulische 'Austreten') der Kontrolle durch den Stab". (ebenda, S.212) “Der Eintritt in die Schule ist für das Kind ein folgenschweres und ziemlich bitteres Ereignis. Deshalb versucht m/f es ihm auch durch das bekannte Zuckertüten-Ritual [in der BRD] zu versüßen. Die in der Schule herrschenden Anforderungen an das kindliche Verhalten bedeuten einen scharfen Bruch mit dem vertrauten sozialen Milieu der bisher fast ausschließlich bestimmenden Familien- und Freundschaftsbeziehungen, in denen sich die ersten Ansätze eines kindlichen Selbstgefühls und Selbstbewußtseins herausgebildet hatten." (ebenda, S.220)

“Derselbe Bruch betrifft auch die Art und Weise der kindlichen Gegenstandsaneignung und des Erkundungsverhaltens. Während dies bisher eng mit spontanen körperlichen Bewegungsabläufen … und mehr oder weniger spielerischen Handhabung der Lerngegenstände verbunden war, findet Lernen nun abgelöst vom direkten Kontakt mit den Gegenständen statt, daß der Körper samt seinem Betätigungsdrang erst einmal auf einem Stuhl stillgestellt werden muß. Der Schüler muß seine persönliche Lebens- und Herkunftsgeschichte weitgehend vor der Schulpforte lassen, und er lernt, in zwei verschiedenen zwischenmenschlichen Welten zu leben. Die Anforderungen der Schule sind unpersönlich, leistungsbezogen und unerbittlich - wer nicht mitkommt, dem droht die soziale Ausstoßung in die Sonderschule und der Status des Asozialen; hierin ist die Schule durchaus schon eine Vorbereitung auf die Härte des kapitalistischen Erwerbslebens." (Ottomeyer, S.220)

Das Interesse am Schulstoff wird durch die Zerstückeltheit und zeitliche wie lebenspraktische Entfernung der Lehrinhalte zusätzlich behindert. “Das Fehlen eines wirklichen Sachbezugs für die gemeinsame Lerntätigkeit hat zur Folge, daß die schulischen Lerngegenstände nur noch in symbolisch-abziehbildartiger Form gegenübertreten. (...) Aber auch diese symbolisch vorgestellten gemeinsamen Lehrgegenstände werden durch das von staatlichen Lehrplänen kontrollierte Prinzip des Fachunterrichtes noch einmal aufgesplittert und damit entwirklicht [s. Beck, 1974]. So taucht etwa ein eigentlich so interessantes Thema wie das Leben der Menschen in der englischen Gesellschaft einmal (...) im englischen Sprachunterricht auf, dann noch einmal im Geschichtsunterricht, im Georaphie-Unterricht, wo die Beziehungen der Menschen zur Natur und ihre Siedlungsformen ganz abgelöst von der Geschichte und vom Sozialleben behandelt werden, und vielleicht noch einmal im Sozialkundeunterricht. Wenn die Schüler in diesen Fächern auch noch von verschiedenen Lehrern unterrichtet werden, was anzunehmen ist, so wird es ihnen wahrscheinlich endgültig unmöglich gemacht, einen sinnvollen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Teilaspekten herzustellen." (Ottomeyer, op.cit., S.224) Hier ist hinzuzufügen, daß die verschiedenen historischen Epochen in den diversen Fächern oft gar nicht simultan behandelt werden.

Am Ende dieser Überlegungen läßt sich mit Franz (1978) die Frage stellen, ob die immer stärker um sich greifende Produktorientiertheit und funktionalistische Ausrichtung nicht "den Schüler mehr zum Objekt der Institution als zum Subjekt in der Institution Schule machen." (in Horn, o.J., S.373)

 

3.Hochschule als Institution

Der Hochschule ist in ihrer Eigenschaft als Institution zu eigen, daß sie einerseits der Vermittlung von bestimmtem Wissen über verschiedene Gebiete dient und aber zur selben Zeit, genauer gesagt: zeitgleich mit den Lehrinhalten auch Anweisungen darüber liefert, wie dieses Wissen zu gebrauchen ist. D.h. gelehrt und gelernt wird, wie die Instrumente der Wissenschaft zu gültigen - von der Wissenschaft anerkannten - Ergebnissen führen. Es wird von Anfang an versucht, unsachgemäßes Handhaben von Methoden und Erkenntnissen zu verhindern, um letztendlich das Gebäude des jeweiligen Sinnsystems nicht zu unterminieren bzw. es in Legitimationszwänge zu bringen. "'Einsozialisierung' in wissenschaftliches Handeln wäre (...) unvollständig (...) wenn es sich nur auf die erkenntnislogischen Kategorien (...) bezöge und nicht gerade auch auf die Kompetenz zum wissenschaftlichen Alltagshandeln." (Klüver, 1988, S. 157, in Hurrelmann & Ulich [Hrsg.], Jahr?, S. 422) Der/die StudentIn soll ja nicht nur wissen, wie sich ein/e WissenschaftlerIn verhält, sondern ihm/ihr soll es natürlich erscheinen, sich gerade so zu verhalten und nicht anders - ohne das zu hinterfragen.

Grundlegend in der Wahrnehmung der Institution Hochschule ist die in ihr vorhandene Hierarchie der verschiedenen Rollenträger und die damit verbundene Machtökonomie. Hierarchien ziehen sich durch den gesamten Komplex des Hochschulsystems und werden von den verschiedenen RollenträgerInnen perpetuiert. In der Folge will ich am konkreten Beispiel von Wien versuchen, zunächst auf institutioneller Ebene die Ränge zwischen den einzelnen Gebäudekomplexen festzuschreiben und im nächsten Abschnitt dann die verschiedenen relevanten Rollen in ihren die Subjekte prägenden Eigenschaften herauszukristallisieren:

Auf der höchsten Ebene bietet sich zuerst zwischen den einzelnen Universitäten (d.i. z.B. Hauptuniversität: HU, Wirtschaftsuniversität: WU, Technische Universität: TU etc.) eine wertbehaftete Rangordnung gemäß ihrem 'Gebrauchswert', der sich im Umgang der Politik und der Wirtschaft, also der 'mächtigen Kräfte' in unserem Gesellschaftssystem, mit diesen exemplarisch zeigt. Dazu genügt es, sich die zugeteilten Bugets anzusehen, bzw. die Ausstattung mit Mitteln (m/f denke als drastisches Beispiel an die Institutsbibliothek Psychologie hier in Wien, die dem Anschein nach überhaupt kein Geld bekommt, s.u.). Diese Zustände hinterlassen natürlich dementsprechende Eindrücke und zeigen einem/r wie es um ihn/sie steht. Es findet regelrecht eine 'Prägung' statt, durch welche m/f erlebt, welchen Stellenwert m/f z.B. als StudentIn aber auch als LehrendeR in der gesellschaftspolitischen Ordnung hat. In der Folge kommt es dazu, daß beispielsweise ein/e forschende/r WissenschaftlerIn der WU im politischen und öffentlichkeitswirksamen Bereich mehr Einfluß hat als eine/r der HU.

Die nächsttieferliegende Ebene ist jene der Fakultäten der einzelnen Universitäten (z.B. auf der HU: Medizinische Fakultät: Med, Naturwissenschaften: NaWi, Grund- und Integrativwissenschaften: GruWi, Geisteswissenschaften: Gewi, etc.), auf welcher ebenfalls hierarchische Ordnungen festgestellt werden können: Exemplarisch sind hier die MedizinerInnen zu nennen, die eine herausragende Position - ganz entsprechend der Wichtigkeit, die ihnen in der Gesellschaft eingestanden bzw. zugeteilt wird - einnehmen. Die Studienrichtungen der GruWi (u.a.: Philosophie, Politikwissenschaft, Psychologie, Soziologie, 'Völkerkunde') aber sind, provokant ausgedrückt, fast unerwünscht, da sie z.B. als Zufluchtsort für FaulenzerInnen oder für die Gesellschaft unproduktive Elemente angesehen werden - zumindest von der breiten Öffentlichkeit; die Wertschätzung seitens der Politik drückt sich, wie oben schon erwähnt, in der Bereitstellung von Kapital aus - und ihnen eine Qualität der gesellschaftsrelevanten Wissensproduktion abgesprochen wird (das gilt zumindest solange, bis m/f nicht ihren/seinen Titel errungen hat; ab dann wird einer/m schon fast mit Kniefall begegnet). In einer Ausgabe des Spiegel (3, 1999) wird beispielsweise von einem Soziologieprofessor berichtet, der ein Drittel der StudentInnen für unfähig hält. Das schließt er, dem Bericht zufolge, aus deren Äußerungen während eines Umtrunks zu Semsterbeginn, wo die jungen Leute erzählten, warum sie an die Uni gekommen wären: Einer, weil er keine Lehrstelle gefunden habe, eine andere, weil sie morgens ausschlafen möchte. Der so Empörte fordert daher konsequent ein 'Eingangsgespräch', wie es von den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft, im Einklang mit deren Maxime Leistung, Leistung, Leistung, schon vor zwei Jahren gefordert wurde.

Als nächstes bietet sich die Rangordnung zwischen den verschiedenen Instituten innerhalb der jeweiligen Fakultät dar. Nehmen wir als Beispiel die Philosophie, die, obwohl (oder gerade weil?) niemand, außer den Eingeweihten natürlich, eine Ahnung über ihre Inhalte hat und diese auch nicht versteht, trotzdem ihren Stellenwert in der Gesellschaft hat, wo hingegen die Psychologie als Fach kein 'Selbstvertrauen' besitzt. Ich möchte es bei der Subsummierung der komplexen Situation der Psychologie im gesellschaftlich-wissenschaftlichen Kontext unter diesem Begriff belassen, da dies sonst den hier gesetzten Rahmen sprengen würde.

Die letzte Ebene ist die des Institutes selber, wo an oberster Stelle ProfessorInnen rangieren und an unterster StudentInnen. Im Stab der Lehrenden sind die 'externen', d.h. nicht vom Institut angestellten, LektorInnen das 'Schlußlicht', die, mitunter auch aus Profilierungsgründen, meist aber aus Spaß an der Sache oder Idealismus, unter Umständen sogar unentgeltlich ihre Lehrveranstaltungen abhalten und trotzdem teilweise von den Institutsoberen dabei behindert werden. Das hat hauptsächlich darin seinen Ursprung, daß diese ''Externen', wie das Wort schon suggeriert, nicht institutsangehörig sind und daher oft alternative Inhalte zum gängigen Lehrangebot bieten, die nicht selten kritisch sind und somit 'wissenschaftliche Wahrheiten' i.b.a. ihre Berechtigung hinterfragen. Die Angehörigen des Mittelbaus, also AssisstentInnen und einige ‘außerordentliche’ ProfessorInnen, sind hingegen schon in das System integriert und mitten im Aufbau ihrer wissenschaftlichen Karriere, daher kann m/f von ihnen nur schwerlich erwarten, daß sie die Grundmauern des Gebäudes, das sie bewohnen wollen, aufweichen. Die Härte der Hierarchie veranschaulichend wirkt auch der unerbittliche Machtkampf des Mittel- und Oberbaus um erfolgreiche Forschungsergebnisse und somit die bessere Position in der Institution und darüber hinaus in der Wissenschaftswelt.

 

4. Wiener Psychologie-StudentIn werden

Ich will nun überleiten zum änfänglichen Empfinden von Psychologie-StudentInnen in ihrem Studium, meine Erfahrungen miteinschließend, aber mich nicht ausschließlich auf diese berufend, welche Verhältnisse sich ihnen bieten und wie sie sich, ohne es zu merken - ja auch, weil m/f es schon sein Leben lang gewohnt ist, wie an den allgemeinen Ausführungen zur Schule klar geworden sein dürfte - in das System eingliedern, dabei zwar streckenweise Unbehagen verspüren, dieses aber nicht kausal auf das System zurückführen.

Wie anhand der Ausführungen im vorigen Abschnitt bezüglich der Universitäts-Hierarchien nachvollziehbar, läßt sich ja schon vor dem Überschreiten der Schwelle zur Uni ein Einfluß der sekundären Sozialisation des Studiums - eben mit dessen Einbettung in die Gesellschaft und die Hochschulstruktur - feststellen. D.h. also, daß m/f durch den Stellenwert, den die jeweilige Universität in der Gesellschaft hat, schon beeinflußt wird, bevor m/f überhaupt einen Fuß in sie gesetzt hat. Der Sprung/Übergang vom Status des/r Schülers/in zu jenem des/r Studenten/in ist insofern von einem qualitativen Blickpunkt her interessant, da sich im überhöhten Bild, das m/f als SchülerIn von den StudentInnen hat, wiederum eine gesellschaftliche Hierarchie ausdrückt. Ist m/f in diesen 'höheren' Status eingetreten, fühlt m/f sich dann auch - zumindest eine zeitlang - als etwas Besonderes, einer bestimmten Elite angehörig. Letzteres fühlt m/f vielleicht nicht direkt, de facto ist es aber das Ergebnis, da ja trotz des in Österreich noch geltenden freien Hochschulzuganges hauptsächlich nur bestimmte, privilegierte Gesellschaftsschichten, also mittlere und obere, an die Universität gehen. Einen sich dem Bewußtsein stärker aufdrängenden Charakter hat hingegen die Universität bzw. das jeweilige Institut selber, als konkretes Gebäude bzw. Gebäudekomplex, die bzw. das oft als 'Labirynth' oder 'chaotisch' beschrieben wird (vgl. Huber, in Hurrelmann & Ulich) und damit schon verunsichernd auf das uneingeweihte Subjekt wirkt. Was vermitteln diese Umstände: M/f erkennt - mehr als Gefühl denn als Gedanke, daß m/f außerhalb steht. M/f will jedoch hinein, m/f möchte ja studieren, daher wird m/f versuchen, an Informationen zu gelangen, wie m/f sich verhalten muß, d.i.: wo m/f weiterführende Informationen z.B. bezüglich Verwaltungsaspekten bekommt, welche Vorlesungen als erste besucht werden sollen, welche ProfessorInnen die wichtigen sind u.ä. Alte Reaktionsmuster auf Situationsanforderungen werden verunsichert.

Diese Phase der Orientierung kann sich je nach Klarheitsgrad der Struktur unterschiedlich lang dahinziehen. Die mittels 'symbolischer Gewalt' (Bourdieu & Passeron) "in Bedeutungszusammenhänge eingewiesenen Subjekte (...)" bleiben "(...) geflissentlich im Unklaren (...) über die Willkür, die Zufälligkeit dieser Bedeutungszusammenhänge. Was Geschichte ist, erscheint als Natur. Und der Naturgröße Wissenschaft gegenüber, so scheint es dann, bleibt nur unterwerfendes Lernen." (Rumpf, o.J., in Horn, o.J., S.43) Die Institution hält verschiedene Rollen bereit, die m/f besetzen kann. Als Neuankömmling schlüpft m/f erst mal in jene des/r Studenten/in und beginnt sich eine - zwar nicht ausschließliche - Institutionsidentität anzulernen. Wenn wir genauer hinschauen, ist die allererste Rolle, die bereitgehalten wird jene des/r Erstsemestrigen, der/die ihrerseits nocheinmal unterhalb der des/r Studenten/in angesiedelt ist. Aus diesem Grund ist das am Institut für Psychologie in Wien angebotene alternative, d.h. in diesem Falle nicht sachbezogene Erstsemestrigen-Tutorium eine - nebenbei gefährdete, da von mehreren Seiten bekämpfte - erfreuliche Einrichtung, die versucht, in dieser Orientierungsphase einen Ruhepol zu bieten, an den m/f sich halten kann, um im Anpassungsstreß zu pausieren. Diese 'strukturaufweichende' Komponente ist den BetreiberInnen oft gar nicht so bewußt. Sie versuchen, keine Distanz zwischen AnfängerInnen und Höhersemestrigen aufkommen zu lassen, während der Großteil der restlichen StudentInnen ihre Rolle schon übergestreift hat und sich somit mit den Erstsemestrigen nicht mehr identifizieren kann bzw.will und bis zu einem gewissen Grad sich einfach denkt "das ist nun mal so" und "ich mußte da auch durch" bzw. "da muß m/f durch". Die Tatsache, daß diese Alternativtutorien gemessen an der StudentInnenanzahl relativ schwach besucht sind, läßt bzw. ließe sich in logischer Folge auf die schon mitgebrachte Einstellung des 'sich Unterwerfens' bzw. 'Durchhaltens' (Stichwort Leistung) zurückführen, die den Besuch einer solchen Veranstaltung überflüssig erscheinen läßt. Ein dazu passendes persönliches Beispiel ist, daß die sympathische und humorvolle Präsentation dieser Tutoriumsgruppe auf eine Kollegin peinlich, im Sinne von zu 'schulisch' wirkte. Sie erklärt das folgendermaßen: Da es zwischen der Rolle der Schülerin und jener der Studentin ja nicht einen abrupten Wechsel, sondern einen Übergang gibt, besteht in der Anfangsphase, in welcher m/f mit den neuen Anforderungen zur Rollenerfüllung erst umgehen lernen muß, Unsicherheit. Obwohl sie offiziell schon eine Studentin war, fühlte sie sich noch nicht als solche. Der Identifikationsprozeß war noch nicht abgeschlossen. Das Element des 'Schulischen' stellte also für den Identitätsbildungsprozeß ein Gefahrenmoment dar.

Rumpf arbeitet heraus, wie es überhaupt zur Bereitschaft zur Übernahme neuer Denkmuster, die jenen der Institution Hochschule entsprechen, kommt: Die Unsicherheit hinsichtlich des eigenen Verhaltens zu Anfang generiert im Individuum Ängste "vor der eigenen Bedeutungslosigkeit und Undomestiziertheit", die es nur durch "blinde Identifikation mit wissenschaftlich (...) verbürgten Autoritäten" (S.50) unterbinden kann. Dadurch, daß die eigene Identität durch die völlig neue und undurchsichtige Situation zu Studienbeginn - teilweise erheblich - verunsichert ist bzw. sein kann, entwickelt sie eine "Neigung zu allem, was festen Halt gibt" wie z.B. "ein Lehrbuch, ein solides Grundwissen, ein klares Anforderungssystem (...) mit klaren didaktischen Rollenverteilungen (...)." (S.61) Es findet, drastisch ausgedrückt, eine Identifikation mit dem Aggressor statt (vgl. Horn, 1972).

Das 'Angsterzeugungsmittel' par excellence ist natürlich die Prüfung. M/f weiß ja schon aus der Schule um diese unangenehme Wirkung, d.h. sie ist kein Instrument, das heimlich wirkt, sondern ihre Eigenschaften liegen offen auf der Hand. Was ich damit sagen will ist, daß hier gar kein Hehl aus dieser Absicht gemacht wird, wenn es auch nicht öffentlich zugegeben wird. Offiziell dienen Prüfungen ja nur der 'Wissensüberprüfung'. Aber was ist damit eigentlich gemeint: Es soll herausgefunden werden, ob der/die StudentIn ja wohl auch alles einverleibt hat, was ihm/ihr vorgesetzt wurde. Es geht nicht um das In-Erfahrung-bringen, ob die Prüflinge den Stoff reflektiert haben, sondern nur darum abzufragen, ob das, was in den Köpfen zu sein hat, auch dort ist.

Das bestätigt auch unsere eigenen Erfahrungen dahingehend, daß es z.B. bei Prüfungen bis auf Ausnahmen darauf ankommt, ob m/f die richtigen Worte bzw. Fachbegriffe hinschreibt, unabhängig davon, ob m/f den entsprechenden Sachverhalt korrekt umschrieben hat, was ja Ausdruck von Vcht weiß. Als solcher, d.h. hinzunehmender, Bereich kommt nun die Schule hinzu und in dieser selbst wird das Hinterfragen wohl auch nicht gerade gelehrt. Gleichzeitig mit der Gewöhnung seitens des Kindes, diese Fragen nicht mehr zu stellen, kommt es zu dem Effekt, daß damit die Fähigkeit zum 'selbständigen Denken' untergraben, dramatisch ausgedrückt: verstümmelt wird. Die üblicherweise im Alter von sechs Jahren beginnende erzwungene Eingewöhnung in die Schule gewährleistet somit nicht nur eine Gewöhnungmit einem Aufleuchten auf die Stirn berührt und ihnen dadurch zeigt, ob sie aufgenommen sind oder nicht und falls ja, an welchem Platz sie stehen, also was sie wert sind. Die Prüfung zeigt “das Heraufkommen einer neuen Spielart der Macht an, in der jeder seine eigene Individualität als Stand zugewiesen erhält, in der er auf die ihn charakterisierenden Eigenschaften, Maße, Abstände und ‘Noten’ festgelegt wird, die aus ihm einen ‘Fall’ machen.” (Foucault, S.247; in Holzkamp, S.357) Diese Normierungsfunktion funktioniert auf der Hochschule allerdings etwas anders als in der Grund- oder Hauptschule, da ja hier die Noten nicht öffentlich vor einer Klasse offenbart werden, sondern jedeR ihr/sein Ergebnis ‘privat’ erfährt.- sie wird also beim Übergang Schule zu Hochschule den Subjekten selbst übertragen. Mit der nun subjektiv schon seit über zehn Jahren erfahrenen Normierungspraxis und der eigenen Eingespanntheit in die Bedürfnisstrukturen der schulischen Machtökonomie, die ja eine Lebenswelt darstellt, dürfte die internalisierte Normierung des eigenen Selbst im Sinne der Institution keine Probleme verursachen. Das Individuum ist mit seiner Frustration alleingelassen und wird also selbst dazu angehalten, etwas in die geforderte Richtung zu unternehmen - mit dieser neuen Dimension der Eigenverantwortlichkeit verschwimmt das Bild der Institution Universität als Aggressor.

Wenn m/f sich dafür entscheidet, ‘gute’ Noten haben zu wollen, steht m/f vor einem weiteren Problem, das mit der Gleichung ‘brav lernen = gute Note’ nicht so einfach zu lösen ist: Der Vorwurf der Willkür bei der Notengebung ist ja nichts neues, m/f denke an das Gleichnis des ‘Noten-Würfelns’, vielmehr gilt es, die Dimension der daraus folgenden Unnachvollziehbarkeit für die Subjekte zu unterstreichen, die als kontinuierliche Frustrationsquelle fungiert. Gesetzt also der Fall, m/f will ‘gute’ Noten, so hat m/f keinesfalls die Garantie, lediglich mit einem mittelmäßigen Engagement eine entsprechende Benotung zu bekommen - vielleicht hat m/f ja unglücklicherweise nicht alle richtigen Schlüsselwörter hingeschrieben -, sondern muß sich vielmehr entscheiden, alles zu geben und somit den Stoff lückenlos zu beherrschen, oder aber von der Sammlung glorreicher Noten Abschied zu nehmen und sich mit Glückstreffern zufrieden zu geben. Sich von den Noten gänzlich unabhängig zu machen, ist jedoch gar nicht so leicht. Das Gefühl beim Durchblättern von lauter Vierern und Dreiern hat doch seine Wirkung, sprich einN unzufrieden mit den eigenen ‘unzureichenden’ Leistungen sein zu lassen. Das ist zwar relativ leicht wieder weggesteckt, nichtsdestotrotz gilt es, den ‘Charme’ der Eins hier festzuhalten.

Die Thematik der Prüfungen stellt jedoch nur einen Teilaspekt dar. In eine umfassende Bestandsaufnahme der Zustände und Maßnahmen, die bei den StudentInnen einen gewissen, noch zu klärenden und auf einen bestimmten Hintergedanken hinführenden, Eindruck bzw. Einfluß darstellen, gehören noch folgende Aspekte: Sehr oft hört m/f Klagen von KollegInnen - vorwiegend aus dem ersten Abschnitt -, die von den anfangs präsentierten Inhalten enttäuscht sind, da sie sich überhaupt nicht mit den Erwartungen, die m/f an das Fach Psychologie hat, decken (Psychophysik, Statistik, etc.). Das wird als ziemlich frustrierend empfunden, was sich mitunter in starken Motivationsproblemen niederschlägt. Diese Frustration führt bei nicht Wenigen sogar zu einem Studienabbruch: 60-80% im ersten Studienabschnitt. Somit ist eine erste Selektion erreicht. Bei jenen, die durchhalten (im wahrsten Sinne des Wortes nach dem Motto: Augen zu und durch), kann es zu zwei Arten des Umgangs mit diesen Inhalten kommen, nämlich erstens ein ledigliches Pflichterfüllen, das darin besteht, die Inhalte blind und taub in sich aufzunehmen, um sie bei der Prüfung wiedergeben und anschließend vergessen zu können mit dem bloßen Ziel, den Titel einer Psychologin bzw. eines Psychologen zu erlangen oder zweitens zu beginnen, sich mit den Inhalten zu identifizieren, also an sie zu glauben, was ein Hinterfragen somit ausschließt. Wobei hier hinzuzufügen ist, daß m/f sich ja, bis nicht ein gewisses Quantum an Emanzipation erreicht ist, sowieso nicht befähigt fühlt, Gelehrtes in Frage zu stellen, da m/f es ja als eine von der Wissenschaft, in dem Effekt also naturgegebene, Wahrheit empfindet. Auch wenn m/f das Aufnehmen der Inhalte wie im ersten Fall nur als Mittel zum Zweck betreibt, werden ohne kritisches Hinterfragen bestimmte in der Wissenschaft tradierte Grundvorstellungen über den Menschen in der Gesellschaft - z.B. die Individualisierungstendenz in der Psychologie - ihre Wirkung zeigen. Auseinanderseztungen mit den Inhalten sind somit alles andere als zwingend. Ich unterstelle nicht nur hier wieder einmal einen Hintergedanken, der zum Ziel hat, daß der Lernstoff nicht bzw. seltenst hinterfragt wird und somit die kritische Auseinanderseztung zwar nicht unmöglich macht aber doch nur unter erschwerten Bedingungen aufkeimen läßt. Ab diesem Punkt ist das Stadium erreicht, wo der/die StudentIn den Inhalten gegenüber resigniert und diesen den eigenen Willen nicht mehr gegenüberstellt. Auf schleichende Art kommt es zur Übernahme der eine/n umgebenden Denkmuster: M/f beginnt, den spezifischen Habitus unbewußt bzw. automatisch zu lernen und zu übernehmen. Somit kommt es zu dem schlußendlich verfolgten Ziel, daß in einer bestimmten tradierten Art über Wissenschaft gedacht und mit ihr umgegangen wird und weiters, daß das gesellschaftliche Produkt 'Wissenschaft' somit nicht Gefahr läuft, sich legitimieren zu müssen. Das System hat somit, daß es sich TrägerInnen herangezüchtet hat, auf grundlegende, existenzsichernde Art für seinen Fortbestand gesorgt.

 

4.1. Konkrete Beispiele

Wenn ich mit FreundInnen und KollegInnen noch einmal genauer auf die anfänglichen Erfahrungen im Psychologie-Studium, die wir als ziemlich prägend erlebten, zurückblicke, lassen sich noch zahlreiche Erinnerungen wachrufen, denen wir heute eine andere Bedeutung beimessen.

Von Anfang an muß m/f um alles kämpfen: Inskription, Sitzplatz, Handouts, Skripten, Seminarplätze, Prüfungsplätze, etc. Kann es denn wirklich sein, daß immer von Allem zu wenig vorhanden ist? In den ersten Vorlesungen (z.B. Statistik, Allgemeine Psychologie, etc.) gibt es nie genügend Sitzplätze - in manchen Hörsälen nicht einmal Stehplätze, sodaß m/f den Raum oft nicht einmal mehr betreten kann. Warum gibt es in der Vorlesung zur Entwicklungspsychologie regelmäßig zu wenig Handouts, sodaß m/f gezwungen ist, sich in das Gedränge zu werfen und durchzuboxen, um selber eines an sich zu reißen? Nicht selten werden Prüfungsanmeldungslisten zu spät aufgelegt, was den Effekt hat, daß, wenn m/f beispielsweise zwei Tage nicht am Institut war, am dritten die Liste schon voll ist. Ähnlich ist es bei Seminaranmeldungen, wobei es hier Lehrveranstaltungen gibt, wo die Wartezeit bis zu über einem Jahr beträgt, wo es sogar dazu kommt, daß manche in ihrer Panik eine Nacht am Institut verbringen, um dann am Morgen ihren Platz gesichert zu haben.

Auswirkungen dieser Zustände äußern sich unter anderem in einer ständigen Panik, etwas zu versäumen und irgendwo nicht hineinzukommen, was sich als extrem nervenaufreibend und energiezehrend darstellt. Zusätzlich führt das zu einem Konkurrenzkampf in bester Ellebogen-Manier zwischen den StudentInnen.

Ein unvergessenes Erlebnis fand in der Einführungsvorlesung statt: Eine Studentin der Fachschaft hielt einen Begrüßungsvortrag, von welchem m/f sich ein paar gute Ratschläge, Tips und nützliche Informationen erwartet hätte, im Gegensatz dazu aber mit der Aussage konfrontiert wurde, daß innerhalb des ersten Abschnittes bis zu 90% von uns ausscheiden würden. Unter die Nase gerieben zu bekommen, daß das von einem/r getätigte Unterfangen mit anscheinend großer Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt war, wirkte zusätzlich motivationshemmend, verunsichernd und deprimierend. Weiters sagte sie sinngemäß, wenn m/f die "Hölle" des ersten Studienabschnittes hinter sich habe, habe m/f das Studium in der Tasche. Bis zu den letzten HochschülerInnenschaftswahlen im Mai 1999 war die Fachschaft und somit auch die Studienrichtungsvertretung ausschließlich vom Psychologischen Team gestellt, das sich als ‘unpolitisch’ bezeichnet und seine Aufgaben in der möglichst umfassenden Bereitstellung verschiedener ‘Service’-Angebote sieht, die einen reibungsloseren Studienverlauf gewährleisten sollen. Diese Gruppe hinterfrägt in der Regel die Institutsinhalte nicht und ist in der Folge ganz in die gängige Machtökonomie eingespannt, ohne sich dessen bewußt zu sein. In diesem Licht erscheint es nur konsequent, wenn die zitierte Vertreterin ‘verirrte’ Subjekte aufklären wollte, was es mit dem Wiener Psychologie-Studium wirklich auf sich hat. ‘Verirrt’ ist in diesem Zusammenhang dergestalt zu verstehen, daß das Institut den meisten StudentInnen unterstellt, mittels des Studiums eine Therapie absolvieren, und nicht Psychologie als Wissenschaft erlernen zu wollen.

An diese Stelle paßt auch das Kapitel ‘Austauschanträge’. Es besteht die Möglichkeit eine gewisse Anzahl an nicht verpflichtenden Lehrveranstaltungen auszutauschen und sich somit einen Schwerpunkt zu setzen. Die bürokratische Prozedur ist aber dermaßen verwirrend, daß es schon einmal ein bis zwei Wochen dauert, bis m/f erfährt, ob der Antrag von einem ‘formlosen’ zu einem richtigen werden darf. Dabei ist zu beachten, daß der Antrag auf einem vorkopierten Blatt ausgefüllt werden muß, aber nicht von Hand. Wenn m/f nun den richtigen Antrag wieder eingeworfen hat, kann m/f nach weiteren zwei Wochen in die Sprechstunde des Studienkommissionsvorsitzenden gehen und sich seinen/ihren Antrag absegnen lassen. Der noch amtierende Studienkommissionsvorsitzende hat nun eine dermaßen einschüchternde und autoritäre Art, daß diejenigen, die nicht das ausreichende Selbstvertrauen besitzen, sich in ihren Anliegen oft nicht durchsetzen können, was oft mit abgelehnten Anträgen und Tränen endet.

Von dieser Persönlichkeit läßt sich gleich überleiten zum seit kurzem geschiedenen Institutsvorstand, der, nachdem ein Student auf seiner Frage bzw. Kritik beharrt hatte, mit dem Satz, unter diesen Umständen könne er seine Vorlesung (Statistik) nicht halten, das bis zum letzten Platz besetzte Auditorium Maximum verließ. Diese Begebenheit möchte ich in der Beurteilung der LeserInnen belassen.

Geradezu als zynisch wirkt die Ansprache ‘Kollegen und Kolleginnen’, die nach außen die Aufnahme in das WissenschafterInnenkollektiv bezeichnet und nach innen nur der Sichtbarmachung der Gräben dient, da ja von einer Gleichstellung wohl nicht ernsthaft die Rede sein kann.

Dazu kommt noch, daß in der neuen Etage des Psychologischen Instituts der lange Gang mit den Büros verschiedener ProfessorInnen und AssistentInnen abgesperrt ist und m/f, falls m/f mit jemandem außerhalb der Sprechstunden reden möchte, von außerhalb der Glastür in das entsprechende Zimmer anrufen muß, damit diejenige Person dann, falls sie es für berechtigt befindet, kommt und die Türe aufsperrt.

Um einen Sprechstundentermin beim Professor für Sozialpsychologie zu bekommen, muß m/f erst in die Sprechstunde seines Assistenten, dort sein/ihr Anliegen vorbringen und erhält dann gegebenenfalls einen Termin auf der höheren Ebene.

Die Öffnungszeiten der Sekretariate und Bibliotheken wechseln fast jedes Semester, zumindest in der Vormittags-/Nachmittags-Reihenfolge und sind in ihrem Ausmaß, zumindest für diese Anzahl an StudentInnen, eher bescheiden bemessen. Auf der Tür der Sekretariats für Enwicklungspsychologie hängen Zettel wie: “STOP! Ist jetzt Öffnungszeit?” oder “Auch ‘nur eine Frage’ stört!”, wobei die Sekretärin dermaßen unfreundlich ist, daß es schon fast keinen Unterschied mehr macht, ob m/f nun zu den Öffnungszeiten kommt oder nicht.

Die Institutsbibliothek ist zwar mit Computern für die Literatursuche ausgestattet, aber mit keinem für die Bibliothekarin, was zur Folge hat, daß m/f vorsintflutlich anmutendes Zettelchen ausfüllen über sich ergehen lassen muß. Die Bibliothek platzt auf engstem Raum aus allen Näten, sodaß nun die Diplomarbeiten, die vorher auf dem Boden und auf den Tischen gestapelt waren, ausgelagert werden mußten. M/f kann sie jetzt nur mehr auf der Bibliothek der HU ausleihen.

Externe LektorInnen sind oft auch räumlich - gezwungenermaßen - ‘extern’. Einem dieser Lektoren wurde wiederholt der Antrag auf Abhaltung einer Lehrveranstaltung über das unbewußte Fortwirken des Nationalsozialismus abgelehnt mit dem Argument, daß kein Raum verfügbar wäre. Zudem wurde auch noch zur Zeit, da er seine Lehrveranstaltung noch hielt, zusehends an den Rand gedrängt: Am Anfang noch als Seminar zur Sozialpsychologie und am Ende als ‘Freifach’. Eine andere Lektorin kann ihr Seminar über Geschlechterdiskurse nur anbieten, weil sie von den StudentInnen Raummiete verlangt.

In den Räumlichkeiten des Instituts wurden letztes Semester runde Aufkleber für Rauch- und Essensverbot angebracht. Die omnipräsente Plazierung, aber auch die Anzahl der angebrachten Schilder - vor allem solcher des Essensverbots - läßt eineN spüren, daß allem Anschein nach die Meinung vorherrscht, StudentInnen seien Ferkel und müssten daher ständig an ‘anständige’ Manieren erinnert werden.

Was noch erwähnenswert scheint, ist die Tatsache, daß von einem/r zwar wissenschaftliches Arbeiten und alles, was dazu gehört, wie: Recherchieren, Zitieren etc. verlangt und vorausgesetzt, aber nirgends gelehrt wird. Als geradezu zynisch erscheint es dann, daß ein Seminar zum wissenschaftlichen Arbeiten angeboten wird, das nur für StudentInnen, die kurz vor der Diplomarbeit stehen, zur Verfügung steht. Als ob m/f erst bei der Diplomarbeit angehalten würde, diese Erfordernisse auch zu erbringen. Wiederum fragen wir uns nach dem Warum. Aufgrund eigener Beobachtungen bezüglich anderer Studienrichtungen, die sehr wohl etwas Entsprechendes anbieten, vermuten wir dahinter erneut einen Hintergedanken. Dieser könnte bestehen aus: Demotivierung, bewußtes 'im Stich lassen' und letztlich Selektion.

 

5. Auswege?

Als erstes gilt es, die Frage nach den eigenen Zielen zu stellen: Will m/f eine wissenschaftliche Karriere ‘erklimmen’, träumt m/f davon eine die Wissenschaften revolutionierende Theorie zu erfinden? Müssen nun alle, die es besser machen wollen, aus dem System aussteigen?

Wohl kaum. Es geht vielmehr darum, daß m/f sich seiner/ihrer Handlungsprämissen, -motive und -konsequenzen bewußt wird und in der folge versucht, Handlungen aus einer Zwecknotwendigkeit heraus zu vollziehen und nicht aus einer solchen der Macht.

Wenn m/f sich der Machtdiskurse bewußt ist und sich noch stärker dessen bewußt ist, das m/f selber TäterIn und Opfer ist, wird es möglich, aus den Machtspielen auszusteigen. Damit ist jedoch nicht gemeint, daß m/f komplett ‘aussteigen’ muß, sondern nur, daß es möglich sein sollte, die eigenen Handlungen auf solche Motive zu überprüfen, die auf Machterhaltung und/oder -steigerung im Gegensatz zu solchen, die der konkreten Situationsanforderung gerecht werden.. Die Frage, die sich in Anbetracht von Institutionen stellt ist, ob diese ohne Machtökonomie überhaupt denkbar sind. Wenn wir nicht von einem utopischen Modell von an Macht uninteressierten Menschen ausgehen wollen - wobei ich Macht hier nicht als dem Menschen innewohnende und in der Folge unabdingbare Konstante sehe - so muß die Antwort lauten: Nein. Die Machtökonomie ergibt sich durch die Verfügungsgewalt der verschiedenen Rollen. Die Rollen stellen nun - wie schon eingangs erwähnt - ein individualitätsfeindliches Element dar. Ein Professor ist nicht einfach Herr Klaus Kubicek, sondern o.Univ.-Prof.Doz.Mag.rer.soc.oec.Dr.phil. Klaus Kubicek. Es findet keine Begegnung zwischen zwei Menschen statt, sondern eine zwischen einem Titel - d.h. also einer Rolle - und einem minderwertigen Subjekt, also dem Studenten bzw. der Studentin.

Wenn wir nun Institutionen lediglich als organisationsstrukturierende Einheiten betrachteten - zugegebenermaßen eine ein wenig verklärte Sicht - so sollte es doch möglich sein, zwar ohne letztendlich die Hierarchien überwinden zu können, denn einE ProfessorIn bleibt immer einE ProfessorIn und einE StudentIn immer einE StudentIn, so aber doch in größtmöglichem Ausmaß, eine Begegnung von Mensch zu Mensch stattfinden zu lassen.

In dieser Form würde die Entscheidung über die ‘Menschlichkeit’ jedoch ausschließlich bei der mächtigeren Position liegen und als MachtlosereR müßte ich immer noch auf Gnadenmomente von oben warten. Das kann es natürlich auch nicht sein. Die Handlungsmöglichkeit der StudentInnen liegt in der rebellierenden Antwort auf Macht’mißbrauch’. Dieser Begriff ist nicht in juristischem, sondern in Foucault’schen zu verstehen. Es geht darum, aus dem zwischenmenschlichen Aushandlungsprozeß der Rollenbestimmung bzw. -festlegung die eigene Aktivität zu beleuchten und sich der zugeschriebenen Rolle des/der ohnmächtigen Studenten/in zu widersetzen und das die Funktionalität überschreitende Selbstverständnis der die Rollen der ProfessorInnen Ausfüllenden zu brechen.

 

Literatur

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