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XI. Ausblick

 

Um diese Arbeit nun endgültig abzuschließen, sollen nun, auf unseren gesamten Erkenntnissen aufbauend, noch ein paar Überlegungen eröffnet werden. Welche Aussagen können wir nun treffen und was tun mit den Erkenntnissen?

Herrschafts- bzw. Kapitalismuskritik zu betreiben ist m.E. notwendiger denn je, gerade um einem kritisch-psychologischen Selbstverständnis gerecht zu werden. In diesem Sinne sollte diese Arbeit vor Augen führen, in wievielen alltäglichen Lebensbereichen bereits Jugendliche Macht und Herrschaft, in welchem Ausmaß sie – unter dem Schein der Freiwilligkeit – (Selbst-)Disziplinierung und (Selbst-)Kontrolle, (Selbst-)Ausbeutung und Unterordnung (re)produzieren. Vor diesem Hintergrund konnte gezeigt werden, wie dieses Ineinandergreifen von Produktion und Reproduktion, der kontinuierliche Vollzug dieses Prozesses, notwendig ist, um das eigene Überleben innerhalb dieser Verhältnisse zu sichern, was gleichzeitig das Überleben und Fortbestehen ebendieser konstituiert.

Um hier aber nicht in einer Sackgasse steckenzubleiben, sollte, mittels dieser Arbeit, die Erkenntnis nachvollziehbar sein, daß das beständige Zusammenspiel von Produktion und Reproduktion nur durch eine grundsätzliche Überwindung von Macht und Herrschaft unterbrochen werden kann. Diese utopische Forderung einer herrschaftsfreien Gesellschaft eröffnet zwar den Raum für theoretische Überlegungen, aber nicht für praktische. Ideologiekritik verfolgt jedoch nicht den Anspruch, „Verbesserungsvorschläge“ anzubieten, zumal diese oftmals Gefahr laufen, erst recht wieder lediglich den Symptomen verhaftet zu bleiben, anstatt zur verursachenden Wurzel vorzudringen, was die Verhältnisse wiederum stabilisiert.

Ein „Verbesserungsvorschlag“ nach ideologiekritischem Verständnis hinsichtlich des institutionellen und selbstgestellten Leistungsdrucks der Jugendlichen wäre beispielsweise mit der Forderung verbunden, das staatliche Schul- und Bildungssystem grundsätzlichst und radikalst zu verändern, gerade weil, wie in dieser Arbeit festgestellt werden konnte, Schulen ideologische Disziplinaranlagen sind. Daß andere Formen von Schule, jenseits von Zwängen, Unterordnung, Leistungsdruck, Disziplinierung, Konkurrenz prinzipiell möglich sind, kann nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch belegt werden (vgl. dazu Neill 1969)

Die grundsätzliche Kritik an derartigen Institutionen macht zwar Sinn, doch solange die Gültigkeit der diesen zugrundeliegenden Herrschafts- und Kontrollogik bestehen bleibt, ist sie für die Praxis nicht zielführend.

Da sich die institutionellen und subjektiven Leistungsansprüche fortlaufend verstärken und verschärfen und noch dazu keine Trendumkehr zu erkennen ist, sehe ich, meinen Blick auf die Jugendlichen gerichtet, einen dringlichen Handungs- und Interventionsbedarf, auch wenn dies wiederum auf die Bekämpfung der Symptome und Auswüchse oder möglicherweise sogar darauf hinausläuft, daß sie die Anforderungen (noch) besser in den Griff bekommen. Workshops anzubieten, um die Einzelnen zu ermuntern, über ihre (Versagens-)Ängste zu sprechen, den eigenen Leistungsdruck zu thematisieren etc., könnte dazu verhelfen, zu erkennen, daß andere ähnliche Probleme haben. Dies kann entlastend sein und eröffnet zur selben Zeit die Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen und sich ein Stück weit vom EinzelkämpferInnentum zu verabschieden. Gerade die von einigen Interviewten kritisierte soziale Rücksichtnahme spricht für ein Bedürfnis nach Solidarität, was prinzipiell ein emanzipatorisches Potential eröffnet.

Der „Hunger“ nach Solidarität, welcher sich nicht nur auf Jugendliche beschränkt, sondern gerade in Zeiten gesellschaftlicher und politischer Krisen (Terrorismus, Naturkatastrophen etc.) immer weitere Kreise erfaßt, läuft unter den herrschenden Bedingungen allerdings oftmals Gefahr, kollektive Identitäten wie beispielsweise Nationalidentitäten zu stärken. Diese Formen von Kollektivität sind aber isofern problematisch, da es ihnen nicht möglich ist, die Quelle des „Übels“ ins Blickfeld zu bekommen, weil genau die etablierten Strukturen ihre Ankerpunkte sind.

Eine neue Form von Kollektivität, die scheinbar ohne Identitätsüberbau auszukommen scheint, ist im Rahmen der verschiedensten Äußerungen der sogenannten „Antiglobalisierungsbewegung“, in Seattle, Prag, Göteborg, Genua etc., beobachtbar. Während die von mir befragten Jugendlichen ihr Wirkungsfeld im Privaten suchen, sei als Gegenbeispiel darauf verwiesen, daß gerade im Zuge dieser Bewegung eine Vielzahl an Jugendlichen beteiligt ist und derart ihre Unzufriedenheiten, ihre Kritik, ihren politischen Willen in den öffentlichen Raum tragen und sichtbar machen. Auch wenn selbst in diesem Zusammenhang oftmals nur Symptome und Auswüchse der sogenannten neoliberalen Globalisierung Zielscheibe der Kritik sind, sehe ich darin einen Schritt in eine Richtung, die sich als eine vielversprechende entpuppen könnte. Gerade in Genua zeigte sich jedoch eine nicht zu unterschätzende weitere Entwicklung, nämlich die parallel dazu ansteigende Verschärfung der Staatsgewalt, welche sogar ein Todesopfer forderte. Diese staatlichen Strategien versuchen, das Wirken im öffentlichen Raum wieder zu schwächen, indem sie das Engagement für diese Bewegung mit ernsten persönlichen Risiken behaften.

Um die empirischen Erkenntnisse dieser Untersuchung zu erweitern, wäre es beispielsweise interessant, derart politisch involvierte Jugendliche zu interviewen, um in Erfahrung zu bringen, inwieweit und in welchem Ausmaß auch immer sie sich den (be)herrschenden Normen und (Selbst-)Zwängen verweigern.

Generell würde sich das Feld der Leistung dazu anbieten, es noch umfassender zu bearbeiten, nicht nur, was eine Vertiefung in bestimmte Aspekte, wie eben geschlechts-, „ethnien“- und klassenspezifische Reproduktions- und Verarbeitungsformen angeht, sondern beispielsweise auch dahingehend, Leute in derartige Untersuchungen miteinzubeziegen, die, aus welchen Gründen auch immer (z.B. Krankheit, Behinderung, Alter, Migration, politische Umstände etc.) „sozial anerkannte“ Leistungen eben nicht erfüllen können.

Was mich persönlich besonders interessieren würde, wäre gerade bei Menschen, welche sich einem „linken“ Spektrum zuordnen, internalisierten Leistungsverständnissen nachzuspüren. Zumindest ich kenne in diesem Umfeld kaum jemanden, die/der es genießen kann, untätig, faul und unproduktiv zu sein, ohne dabei von einem schlechten Gewissen heimgesucht zu werden.

Wie sehr Theorie und Praxis oftmals auseinanderklaffen, konnte ich auch an mir selbst beobachten, war es mir doch nicht möglich, mich beim Schreiben dieser Arbeit von meinen eigenen Leistungsansprüchen zu emanzipieren, welche mich durch den ganzen Prozeß verfolgten und antrieben und – im Streben nach deren Befriedigung – meine Lebensqualität in dieser Zeit massiv beeinträchtigten.

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