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X. Resumé

Nun, am Ende der vorliegenden Arbeit angelangt, wollen wir versuchen, einen Bogen über unsere empirischen wie theoretischen Erkenntnisse zu spannen.

Durchleuchteten wir im Theorieteil den ideologischen Charakter der Subjektivierungs- bzw. Vergesellschaftungsform der Individualisierung, so begaben wir uns auch in der Analyse der empirischen Daten auf dessen Spurensuche, namentlich auf die Suche nach individualisierten, verinnerlichten Normen und Zwängen.

Als zentrale Leitfigur stellte sich dabei der Leistungsbegriff in all seinen Schattierungen heraus. Die Fragen wo, wann und wie Leistung stattfindet, sollten uns zum Schlüssel führen, der uns den Zugang zu jenen Räumen eröffnete, in denen der Vollzug und die Reproduktion kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse und deren Verwertungslogik, im teils widersprüchlichen Verhältnis von Strukturanforderungen und Freiwilligkeit, anzutreffen sind. In diesem Sinne bildete der Leistungsbegriff die ideologische Schlüsselposition für unsere Erkenntnisse.

So konnten wir den vorgefundenen (Leistungs-)Druck in Form von (Versagens-)Ängsten, Überforderungsmomenten, psychosomatischen Beschwerden etc., insofern mit unseren Erkenntnissen des Theorieteils verknüpfen, als dort ein Anstieg der strukturellen Leistungsanforderungen im Hinblick auf die Institutionen Schule/Arbeit/Beruf bzw. die berufliche Lebensplanung festgestellt wurde.

Einen weiteren Schwerpunkt unserer Analyse bildete die Erforschung der Internalisierung von Leistungsanforderungen, sowohl in den genannten Institutionen als auch im Bereich der Freizeit bzw. hinsichtlich selbst gestellter Bewältigungsansprüche.

Durch die Vertiefung in die Bereiche scheinbar selbstgewählter und „freiwilliger“ (Leistungs-)Ansprüche erhielten wir einen Einblick in die subjektiven Bedeutungsstrukturen von Leistung. Dabei zeigte sich, in welchem Ausmaß Leistungsansprüche bereits verinnerlicht sind und sich in das eigene Selbstverständnis der Forschungssubjekte einprägten. In diesem Sinne stellte sich das für diesen Prozeß der Verinnerlichung enge Bündnis von Leistung und Anerkennung bzw. Leistung und Selbstwert als grundlegend heraus, womit wir, kurz zusammengefaßt, zu folgenden Schlüssen kamen: Leistung ist ein Medium der Selbst- bzw. Fremdbewertung, der Statusaufwertung und gleichermaßen eines der Selbst- bzw. Fremdverortung im sozialen Gefüge. In diesem Sinne obliegt jedoch das, was als Leistung anerkannt wird, immer auch der Definitionsmacht anderer.

Uns mit diesen Erkenntnissen an die kapitalistische Verwertungslogik annähernd, wurde nachvollziehbar, wie gerade die Verinnerlichung der von „außen“ gesetzten und definierten Leistungsstandards die Basis für deren „freiwillige“ Reproduktion schafft. Vor diesem Hintergrund sind die verinnerlichten Bedürfnisse nach (beruflicher) Leistung, „Erfolg“ und „Selbstverwirklichung“ Produkte der erforderten Freiwilligkeit. Halten wir damit fest: Der Zwang zur Freiwilligkeit wurde zum freiwilligen Zwang.

Auch ein genauerer Blick auf die Freizeitpraxen der Interviewten machte spezifische Leistungsaspekte erkenntlich. Einerseits liegt dem Spaß durch seine Verknüpfung mit Produktiv-Sein eine selbstgestellte Anforderungsstruktur zugrunde. Andererseits fordern die fremdbestimmten, strukturellen Erfordernisse der Institutionen Schule/Arbeit/Beruf ihrerseits dazu auf, im Sinne eines Ausgleichs die ohnehin knappe Freizeit entsprechend zu nützen und verwerten, was dem Spaß wiederum einen Verpflichtungscharakter verleiht. Schließlich ist Spaß auch stillschweigende „Norm“ im sozialen Gefüge. Kurz und gut: Spaß muß geleistet werden.

Einen weiteren Erkenntnisschwerpunkt bildete das vorgefundene Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Selbstverantwortung. Im Anspruch, Probleme alleine, möglichst ohne „fremde“ Hilfe, zu bewältigen, keine Schwächen zu zeigen, sahen wir uns wieder dem Spannungsfeld von Leistung und Anerkennung gegenüber. So manifestierte sich darin die Strategie, sich der eigenen (Leistungs-)Fähigkeiten und Stärke zu vergewissern.

Im nächsten Schritt legten wir unseren Fokus auf die Konsequenzen des Bedürfnisses nach Selbstverantwortung: Indem „Mißerfolg“ als Produkt „mangelnder“ Anstrengungen und „Erfolg“ als „Eigenleistung“ erlebt wird, verschleiert das zum einen den Blick auf strukturelle Bedingtheiten der sogenannten „Scheiternsrisiken“ und zum anderen auf die bestimmenden und konstituierenden Einflüsse der eigenen sozialen Herkunft. Schließlich offenbarte sich die Angst vor dem individuell verursachtem „Scheitern“ als Quelle individueller Streßverarbeitung im Sinne einer Steigerung der eigenen Leistungsbereitschaft.

In der nächsten Station unserer Analyse widmeten wir uns dem Schwerpunkt Selbstdarstellung. Auch hier versuchten wir, die spezifischen Leistungsaspekte zu erarbeiten. So filterten wir zunächst die Anforderungsstrukturen der etablierten sozialen Selbstdarstellungspraxen heraus.

Ähnlich wie Leistung erwies sich auch Selbstdarstellung als ein Medium zur Selbst- und Fremdverortung, aber auch als eines des sozialen Aus- bzw. Einschlusses: Gleichheit wird mit sozialer Anerkennung im Sinne von Zugehörigkeit belohnt und Differenz mittels „subtiler“ Ausschlußmechanismen „bestraft“. Vor diesem Hintergrund ist soziale Anerkennung bzw. (Gruppen-)Zugehörigkeit mit einem gewissen (selbstverständlichen) Maß an Anpassungs- und Konformitätsbereitschaft verbunden. Des weiteren gelang es uns zu verdeutlichen, wie sich einige der Interviewten durch die Orientierung an spezifischen Stilnormen und -codes selbst begrenzen und einschränken, womit auch in diesem Zusammenhang die „freiwillige“ Bereitschaft zu Anpassung und Konformität erkenntlich wurde.

Daran anschließend verlagerten wir unseren Fokus auf die „selbstgestellten“ Ansprüche und Bedürfnisse den Körper bzw. die Individualität betreffend, wobei wir auch hier die jeweiligen Bedeutungsstrukturen zu entschlüsseln versuchten. Was den Körper angeht, konnten wir einerseits Prozesse der Verinnerlichung fremddefinierter normativer Vorstellungen, Ideale bzw. Maßstäbe verorten und andererseits feststellen, daß er als ein ideologisches Feld von Macht im Sinne von (Selbst-)Kontrolle und (Selbst-)Disziplinierung bezeichnet werden kann.

Dem Bedürfnis nach Individualität auf den Grund gehend, konzentrierten wir uns auf dessen Konkurrenz- und Leistungsstruktur. So zeigte sich, daß Individualität in der Praxis nur durch den Vergleich mit bzw. durch die positive Abhebung von den anderen oder der „Masse“ hergestellt werden kann, was sie letztendlich (fremd)bestimmt.

Legten wir unseren Forschungsschwerpunkt bis hierher auf spezifische Leistungsaspekte, was mit dem Titel „Jugend ist Leistung“ zum Ausdruck gebracht wurde, so verließen wir nun den Rahmen direkter Betroffenheit und betraten das Feld: „Jugend denkt Gesellschaft “. Mittelpunkt unseres Erkenntnisanliegens waren die erhobenen Denk-, Deutungs- und Handlungspraxen im Hinblick auf gesellschaftliche Verhältnisse.

So sollte sich herausstellen, daß auf der einen Seite ungleiche soziale Verhältnisse zwar erkannt und benannt werden, was prinzipiell einen Spielraum für Kritik und widerständiges Handeln eröffnet. Auf der anderen Seite mündete die Vorstellung der „Unbegrenztheit“ des eigenen Willens, als Ausdruck von Leistungskraft und -stärke, in eine Nivellierung der zuvor erkannten Ungleichheiten, die dadurch oft auch als „zufällige“ bzw. „natürliche“ interpretiert werden. In diesem Sinne steht diese Form der Verantwortungszuschreibungen, die die Einzelnen auf sich selbst zurückwirft und strukturelle Bestimmtheiten negiert, wiederum im Dienst der Reproduktion der bestehenden Ungleichheitsverhältnisse.

Des weiteren wurden spezifische Unzufriedenheiten, im besonderen ein „Mangel“ an sozialer Rücksichtnahme, etwas deutlicher artikuliert, was schließlich einen Raum für Veränderungsvorstellungen zu öffnen schien.

Dieses Potential blieb jedoch schlußendlich in Gefühlen der Ohmacht, Überforderung und Desillusioniertheit stecken, was angesichts des Ausmaßes, in welchem die Forschungssubjekte in Anspruch genommen werden bzw. sich selbst in Anspruch nehmen – wieder ausgedrückt durch den Leitsatz „Jugend ist Leistung“ – nicht weiter verwundern dürfte. Derart beschäftigt, ausgehöhlt, ohnmächtig und desillusioniert bleibt ausschließlich das Private als einzelkämpferisches Wirkungsfeld übrig, auch wenn gewisse gesellschaftliche „Mißstände“ benannt und kritisiert werden.

Abschließend stehen wir nun vor der Erkenntnis, daß die Jugendzeit keineswegs als „Schonzeit“ bezeichnet werden kann. Die Forschungssubjekte geben sozusagen ein Bild eines quasi vollendeten Individualisierungsprozesses ab, dessen ideologischer Charakter mit all seinen Facetten und Konsequenzen im Theorieteil sowie im empirischen darzustellen versucht wurde. Doch gerade indem wir unseren Fokus zu einem großen Teil auf die Verinnerlichungsprozesse richteten, können wir uns von einem die Verhältnisse naturalisierenden Blickwinkel weitestgehend distanzieren. So hat jede/r zumindest die Möglichkeit, sich genau dieser internalisierten Normen, (Denk-)Praxen und Verständnissen auch wieder zu entledigen, um einen individuellen und selbstbestimmten Handlungsspielraum jenseits von Ideologie zu eröffnen. Auch wenn diesbezügliche Reflexionsprozesse bei unseren Forschungssubjekten nur in relativ beschränktem Ausmaß aufgespürt werden konnten, bleibt das Potential als solches trotzdem gegeben.

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